das weiße Blatt Papier…
… oder habe ich doch Stärken?
Anne starrt das weiße Blatt Papier an. Wie kann sie dieses leere Blatt mit ihren Stärken füllen?
Kann Anne ihre Stärken entdecken?
weißes Blatt...
Sie starrt wie gebannt auf das weiße Blatt Papier. Es fühlt sich für sie an, als grinse der leere Bogen Papier hämisch zurück. Wie hat sie sich da wieder nur hineintheatern lassen können. Ein Persönlichkeitsseminar. Ihr Chef hat es wirklich gut mir ihr gemeint und ihr dieses tolle Seminar ermöglicht. Jetzt sitzt sie hier, in einer Ecke des Seminarraums, völlig planlos und vor sich ein leeres weißes Blatt Papier.
Vorsichtig lässt sie ihre Augen durch den Seminarraum wandern. Sie sieht wie einige Seminarteilnehmer fleißig schreiben. Da und dort hört sie ein Seufzen, aber niemand, wirklich niemand in diesem Raum wirkt so verloren wie sie selbst.
Vor wenigen Minuten haben sie von der Seminarleiterin die Aufgabe bekommen, über die eigenen Stärken zu schreiben, oder auch zu zeichnen. „Stärken“, Anne denkt angestrengt nach, „was gibt es denn für Stärken?“ Sie versucht sich zu konzentrieren. „Ich könnte ‚nett‘ schreiben“, schmunzelt sie, „ja, ich bin nett“. „Nur, ist das jetzt eine Stärke oder eine Eigenschaft?“ „Ach egal, wenigstens steht dann mal ein Wort auf dem Zettel“, denkt sie bei sich und schreibt links oben auf den Zettel das Wort „Nett“.
Wieder lässt sie ihre Augen durch den Seminarraum wandern. Alle anderen schreiben immer noch eifrig. Sie schielt zu Bert, ihrem Arbeitskollegen. “Bert schreibt auch“, denkt sie bei sich, „es sieht wirklich so aus, als würde jeder hier in diesem Raum nur darauf warten, über seine Stärken zu schreiben“. „Was mache ich jetzt“, seufzt sie leise, „ich habe wirklich keinen blassen Schimmer, was ich noch schreiben soll.“ „Komm schon Anne, das gibt es ja nicht, stell dich nicht so an!“, denkt sie leise bei sich, „was sind meine Stärken? Zielstrebig? Nein, das bin ich nicht.“ „Ehrgeizig?“ „Naja vielleicht ein wenig, zumindest manchmal. Studium habe ich auch keines, dann fällt also ehrgeizig auch weg.“
Ganz in Gedanken versunken kaut sie an ihrem Stift. Plötzlich wird sie aus ihren Gedanken gerissen, als Bert neben ihr steht und sie fragt „Anne, kann ich dir irgendwie helfen?“ „Du siehst verzweifelt aus.“ Anne sieht Bert an und meint „Ich weiß nicht. Ich finde einfach nichts“. Bert sieht auf ihren Zettel und schmunzelt. „Anne, ja das stimmt, du bist wirklich sehr nett. Aber du hast noch so viel mehr tolle Eigenschaften.“
Anne sieht Bert verdattert an. Was meint er damit? „Analytisch, logisch denken, kreativ, zielstrebig, ehrgeizig, ideenreich, einfühlsam, tolle Mutter, Organisationstalent“, aus Bert’s Mund sprudeln die Begriffe nur so raus. „Bert, aber das kann ich nicht schreiben, das bin ich doch nicht“. Bert setzt sich neben Anne und nimmt ihr den Zettel aus der Hand. „Anne, was meinst du damit, das bist du nicht?“ „Ich kenne dich als eine Kollegin, die uns schon oft zu einer Lösung geführt hat.“ „Ich weiß, dass du deine Berichte logisch aufbaust und du keine Daten aus der Hand gibt, die du nicht gründlich analysiert hast“.
Anne sieht Bert mit großen Augen an. Ob er das ernst meint? Noch ehe Anne entgegnen kann, spricht Bert weiter „und wie du deine Familie und deine Arbeit organisierst, ich bin wirklich beeindruckt“. Anne steht der Mund offen, es fehlen ihr die Worte. „Aber Bert, das kann jeder, ich mach ja nur meine Arbeit.“ „Und ich habe tolle Kinder und einen tollen Mann, sonst würde das auch nicht so gut laufen“. Bert lächelt, „Ach Anne, nimm das Lob und freu dich!“ „Und vor allem, schreib das jetzt bitte auf, oder soll ich es für dich aufschreiben?“
Zögerlich nimmt Anne das Blatt wieder zur Hand. „Meinst du wirklich, dass ich so bin?“ „Ich kann dir tausend Situationen erzählen, wo ich nicht so war“, meint Anne skeptisch. Bert aber entgegnet sofort, „Genau Anne, und ich kann mich an tausende Gelegenheiten erinnern, wo es so war“. „Wie war denn das damals, als wir die neue Software einsetzen wollten und du uns auf die Lösung gebracht hast, als wir alle in einer gedanklichen Sackgasse gelandet sind?“ „Und denk mal nach wie viele zusätzliche Stunden du für Berichte gesessen bist, um einen Fehler zu suchen und zu finden.“ „Naja“, meint Anne, „vielleicht hast du ein bisschen recht, aber ich mache meine Arbeit wirklich gerne, und das gehört zu meinem Job“. „Das wird auch von mir erwartet“. Bert ist ja wirklich ein netter Kollege, und Anne freut sich, dass er ihr all das sagt. Sie schwankt zwischen Freude und Skepsis.
Sie sieht Bert an und ihr wird klar, Bert meint es wirklich ernst. Und so beginnt sie zu schreiben. Und mit jedem Wort wird die Freude in ihrem Inneren größer und größer und mit der Freude die Gewissheit, dass auch SIE tolle Stärken hat.
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